La Morte di Abele

Kirchenoper von Leonardo Leo und Pietro Metastasio



Regie, Bühne und Lichtkonzept 
Festival Retz 05.07.2024


»La Morte di Abele« von Leonardo Leo (1701 – 1744) und Pietro Metastasio ist eine Adaption des biblischen Kain und Abel Stoffes und handelt vom ersten Mord der Menschheitsgeschichte. Aus dem Paradies verbannt, tragen Adam und Eva die traumatische Schuld des Sündenfalls mit sich. Während ihr Sohn Abel ein gottgefälliges Leben zu führen scheint, erinnert sie Kain, als Frucht der Sünde, an ihre Vergangenheit. Um die eigene Schuld vor sich selber rechtfertigen und die Herrschaft über die Familie aufrecht erhalten zu können, gibt Adam, als Patriarch der Familie, im Sinne des „divide ed impera“, die Schuld Eva und „ihrem“ Sohn Kain, während er Abel überhöht. Kain fühlt sich zurückgesetzt und begehrt auf. Wie in der griechischen Tragödie folgt er seiner zugewiesenen Bestimmung und tötet seinen Bruder Abel. Metastasio und Leo liefern in ihrem Werk einen humanistischen Ausblick. Der Schlusschor dreht die Anklage um und wirft sie spiegelbildlich an die Anklagenden und an die Zuschauer*innen zurück. Im Sinne des neuen Testaments solle derjenige der frei von Sünde sei den ersten Stein schmeißen und anstatt anzuklagen den Mörder in sich selber suchen.
Bei der weltweit ersten szenischen Realisierung der spätbarocken Oper wird der Kirchenraum selbst zur Bühne, das Altarbild zur Projektionsfläche. Die Kostüme greifen die Farben des Altarbildes auf, der teleologischen Zeitachse wird die zyklische Kirchenzeit entgegengestellt. Aus einer riesengroßen Aufbahrung, einem Kindergrab, wie nach einem Anschlag, voll mit Stofftieren und Blumen erhebt sich der tote Abel. Das Hochaltarbild, dass die Steinigung des Hl. Stephan, den ersten Märtyrer des Christentums, zeigt, wird über den Abend dekonstruiert um eine Prozession durch die Retzer Landschaft zu zeigen die wieder am Tatort ankommt. Der Mord hat längst stattgefunden und findet immer wieder aufs Neue statt. Der Stoff rührt an psychologische und zivilisationsgeschichtliche Grundthemen und liest sich auf der Folie unserer Gegenwart als brandaktuell.

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