Kritik einer Tanzinstallation in der Blackbox im Gasteig München



Traumtext II, München 2006

Neue Zeitschrift für Musik, Juli/August 2006


Von der Architektur des Klanges

von Tobias Söldner
Bei der Uraufführung von Traumtext II in der Black Box, am 14. April, überzeugte zunächst das schlanke, aber dichte Gesamtkonzept, das Pogatschar mit dem Regisseur Sebastian Hirn und Michael Bischoff, verantwortlich für das Lichtdesign, erarbeitet hat. An den Seiten der schwarzen, quadratischen Spielfläche entlang bildete das Publikum eine lückenlose, schweigende Mauer. Das Zentrum des Raumes wurde dominiert von einem scheinbar betonschweren, nach unten offenen Zylinder, der sowohl als Projektionsfläche für die hervorragende Videoprojektion diente, deren Bilder von dem Videokünstler Jörg Staeger gesammelt und zusammengestellt wurden. Zudem fungierte im Lauf des Abends diese ‚Röhre’ dann überwiegend als riesiger Beleuchtungskörper für die Tanzsequenzen Gelaberts.  Sehr leise gestaltete Pogatschar die Einleitung des Stückes, worin auch die beiden Bläser Sebi Tramontana (Posaune) sowie Frank Gratkowski (Bassklarinette) sich angemessen zurückhaltend einfügten.

Als Zuspielung hatte Helga Pogatschar die Textpassagen Heiner Müllers, von den Schauspielern Horst Sachtleben und Jürgen Holtz einsprechen lassen und aufgenommen. In einer ersten Textwelle war die Beschreibung der Architektur des Raumes aus dem Traumtext extrahiert und vermittelte eine das Stück beherrschende urbane Grundstimmung. Erst dann mit dem schlagenden Beginn der Tanzsequenz Gelaberts spielte Pogatschar die nächste Textwelle ein, in der die Stimmen eine Beschreibung von Kreis, Rundgang und Bewegung vermittelten.

Den Höhepunkt bildete die interaktive Raummusik der Tanzperformance, die trotz der Kompliziertheit des technischen Überbaus keinesfalls den Eindruck des Gewollten machte, sondern vielmehr in ihrer Bewegung und Klangkunst überaus kraftvoll und natürlich wirkte. Das Publikum der Münchner Uraufführung zeigte demnach auch seine ehrliche Begeisterung.




Kritik einer Tanzinstallation in der Blackbox im Gasteig München



nmz, Juni 2006


Traumtext

von Klaus Kalchschmid
Heiner Müllers „Traumtext“, einer seiner letzten von 1995, ist der nüchterne und doch hochgradig emotionale Bericht eines geradezu archetypischen Alptraums und darin durchaus Franz Kafkas „Verwandlung“ ähnlich. Dort wacht ein Mann eines Tages auf und muss als Käfer hilflos auf dem Rücken ausharren: Bei Müller fällt ein Vater in ein Wasserbecken und vermag sich und seine Tochter trotz aller Anstrengungen nicht zu befreien; der Ausgang bleibt offen.

Auch in der interaktiven Musik-Tanz-Performance „Traumtext II“ (ein 2004 in der Münchner Muffathalle uraufgeführter „Traumtext“ hatte noch einen direkten Bezug zu Müllers Biographie) der Münchner Komponistin und Hörspielautorin Helga Pogatschar und des spanischen Tänzers Cesc Gelabert spielt der im Text beschriebene „Kessel“ eine Hauptrolle. Vater und Tochter sind durch ihn in ihrem Gefängnis gelandet; nun hängt er in der Black Box des Münchner Gasteig als Zylinder wie ein Damoklesschwert über einem quadratischen Spielfeld, um das die Zuschauer sitzen: als Projektionsfläche für faszinierend bunt schillernde Menschenmassen aus der Vogelperspektive, verfremdet oder real, in Slow Motion oder Zeitraffer (Jörg Staeger). Währenddessen wälzt sich der Tänzer langsam liegend um den Rand der Spielfläche. Über Lautsprecher werden versprengte Celloklänge und Textfragmente – gelesen von Horst Sachtleben und Jürgen Holtz - eingespielt. Live erklingen delirierende, nervöse Duos von Posaune (Sebi Tramontana) und Bassklarinette (Frank Gratkowski).

Nach einer halben Stunde fällt plötzlich Licht von oben auf die quadratische Spielfläche und macht sie kreisrund. Das eigentliche (Tanz-)Spiel beginnt: „Ich gehe ... einen schmalen Betonstreifen ... am Rande eines riesigen Wasserbeckens entlang.“


Nun wird der Tänzer in seinem schlichten schwarzen Leinen-Anzug (Anja Wüst) zum Zentrum, löst er durch seine Bewegungen in einem Computer-Setup vorgefertigte Klänge aus.

Manchmal gerinnen die live dazu gespielten Töne von Klarinette und Posaune zu berückender Sphärenmusik und doch bleibt die Bedrohung, die Ohnmacht des Mannes in jeder Drehung des Körpers, die unterschiedlichste musikalische Schatten wirft, spürbar. Denn manchmal schärfen und überlagern sich die Klänge derart, dass sie dem Johlen einer Menge gleichen. Wenn die beiden Instrumentalisten wieder in Aktion treten, dominiert erneut zartes, erschöpftes Duo-Musizieren, und der Vater sieht sich selbst als Portrait und Körper auf die Tanzfläche projiziert. Doch das Geschehen dreht sich immerzu im Kreis. Hilflos zappelnd „schwimmt“ der Tänzer auf dem Boden liegend in der Luft. Auch hier: Black out und offenes Ende.

Über gut eine Stunde hält Cesc Gelabert die Spannung, bewegt, dreht und verschraubt er sich zugleich gehemmt, verstört und elegant virtuos in sich selbst, vermag die Musik Helga Pogatschars die emotionalen Abgründe des Textes zu durchleuchten. Präzise Auskomponiertes mischt sich mit Improvisation als Reflexion der allumfassenden Ohnmacht des Protagonisten, Prägnantes mit Diffusem. Und doch wünscht man sich manchmal die Extreme: dass die Sätze Heiner Müllers weniger zersplittert werden – oder dass sie ganz wegfallen. Denn Rauminstallation und Regie (Sebastian Hirn) und Licht (Michael Bischoff), Tanz und Musik sind stark genug, um die Botschaft von Heiner Müllers „Traumtext“ zu tragen, ja zu intensivieren.






Kritik einer Tanzinstallation in der Blackbox im Gasteig München



Süddeutsche Zeitung, 19. April 2006


Am Abgrund

„Traumtext II“: Helga Pogatschar performt zu Heiner Müllers Prosa

von Silvia Stammen
Im ersten  Moment hat es den Anschein, als hinge ein tonnenschweres zylindrisches Gewicht über der Bühne der Black Box, in der Lage, jeden zu zerquetschen. Und so rollt sich der Tänzer Cesc Gelabert auch erst einmal vorsichtig an den Seiten der leicht abgesenkten, quadratischen Spielfläche entlang. Er hangelt mit den Händen hinter dem Kopf an der niedrigen Schwelle, als läge er nicht flach auf dem Boden, sondern balanciere über einem Abgrund oder am Rand eines grundlos tiefen Wassers, wie in Heiner Müllers todesvisionärem „Traumtext“, mit dem sich die Münchner Komponistin Helga Pogatschar nun bereits zum zweitenmal befasst. Dabei ist Müllers letztes, schmerzhaft verdichtetes Prosawerk, in dem ein Ich mit seiner zweijährigen Tochter auf dem Rücken am inneren Rand eines Betonbeckens entlang wandert und das Sterben eines dicken Mannes beobachtet, ein Text, der sicherlich keine Bebilderung, umso mehr jedoch die Konfrontation mit anderen Medien verträgt. Eine Herausforderung, der sich Helga Pogatschar durchaus bewusst ist.





Während sie 2004 beim Dance-Festival in der Muffathalle noch, mit Madrigal-Chor und großformatigen Videoprojektionen arbeitete, hat sie nun zusammen mit dem Regisseur Sebastian Hirn den Maßstab, jedoch keineswegs die Wirkung reduziert. Zu einer elektronischen Klangspur mit metallischen Geräuschsalven und vereinzelten Bruchstücken melodischer Streicher-Passagen setzen die großartigen Improvisatiorismusiker Sebi Tramontana (Posaune) und Frank Gratkowski (Bassklarinette) Akzente. Auf der Außenseite des Zylinders erinnern Projektionen zunächst an einen Zivilisations-Overkill, bevor ein aus dessen Mitte heraus hell erleuchteter Kreis den Fokus wieder ganz auf den Tänzer lenkt. Der generiert im zweiten Teil durch Bewegungen die Klänge selbst, was prompt zu einem etwas diffus anschwellenden Sturmgetöse führt. Spannender als das computergesteuerte Chaos ist allemal das unmittelbare, fein abgestimmte miteinander Reagieren der einzelnen Künstler, das den Abend zu einem intensiven Erlebnis macht.