Kritik einer Inszenierung bei oper der zeit in Voralberg




Siroe, re di persia, Götzis 2005

Vorarlberger Nachrichten, 22. September 2005


Start der neuen Theaterära?

Händels „Siroe“ des Unternehmens „operderzeit“ hat in Götzis begeistert.

von Christa Dietrich
Götzis (VN) Man suche sich gute Musiker und würfle damit rasch ein Orchester zusammen, man sehe sich unter den besten Absolventen der Ausbildungsstätten für Alte Musik um, hole sich ein erfahrenes Regieteam und einen Meister des Fachs für das Pult - eine solche Sache ist ein Wagnis, aber sie kann toll aufgehen. So wie nun auf der Götzner Kulturbühne AmBach, auf der sich am Wochenende das von Julia Penninger und Christian Baier gegründete Vorarlberger Unternehmen „operderzeit“ erstmals vorstellte. Etwas verzögert zwar, denn nach dem Abspringen des Dirigenten William Lacey mußte die Premiere verschoben werden. Das mit dem Einspringer Andreas Spering, ein unumstrittener Händel-Fachmann dirigiert, erwies sich allerdings auch bei der zweiten Aufführung am Sonntag, auf die sich der Bericht bezieht, sofort.

Händels „Siroe“ wurde im Jahr 1728 in London uraufgeführt. Die Geschichte um die Leidenschaft und Intrigen am persischen Hof verschwand nach wenigen Aufführungen von der Bühne. Die Gründe dürften nicht in der Musik liegen, auch nicht in der Handlung, aber von derlei Macht- und Liebesgier wurde zu dieser Zeit oft erzählt, da fiel manches auch ohne besonderen, Grund durch den Rost. Zudem spitzt sich das Geschehen auch nie extrem dramatisch zu, das Liebespaar findet zueinander, der Gute wird gekrönt, das Publikum versöhnt.



Einfach und exzellent
Sebastian Hirn hat kompakt inszeniert. Auf nacktem Bühnenrund in grellen, heutigen Kostümen spielen zu lassen (Ausstattung: Franz Gronemeyer und Justina Klimczyk), ist nicht neu, aber wirkungsvoll. Die Personen werden schön geführt, die Ideen einfach aber exzellent zur Wirkung gebracht, das Tempo wird reduziert und es korrespondiert stets mit dem Orchestergraben. Aus diesem kommt der Klang so filigran wie man sich das nur wünschen kann. Ob man einige Passagen de gestrafften Version mit noch mehr Spannung auflädt, ist Geschmackssche. Spering ist jedenfalls auch sehr bedacht auf die jungen Sänger. Und die danken es ihm. Tim Mead (Siroe) mit einem elegant eingesetzten Timbre, das ihm gewiss noch viele Wege öffnen wird, Anna Dennis (Emira) und Barbara Havar-Klump (Laodice) mit Stilsicherheit und Kraft, die nur noch von Randal Turner (Cosroe) getoppt wird. Auch Bernhard Schafferer (Medarse) überwindet kleine Schwierigkeiten rasch. Material und Können sind absolut vorhanden. Das Publikum (am Sonntag war es trotz des an sich attraktiven Spättnachmittatermins noch eine kleinere Gruppe) zeigte sich überzeugt und begeistert. Mit Barockopern wird man in der Region (die nächsten Adressen sind neben dem Festivalort Schwetzingen Innsbruck und gelegentlich München oder Zürich) seltener bedient, mit „operderzeit“ könnte eine neue Musiktheaterära in Vorarlberg begonnen haben. Auch wenn das Unternehmen neben Raritäten aus der Vergangenheit auch Uraufführungen auf dem Plan hat.





Kritik einer Inszenierung bei oper der zeit in Voralberg



Neue VN, 22. September 2005


Innenansicht  einer Familienhölle

„operderzeit“: Händels „Siroe“ auf der Kulturbühne AmBach in Götzis.

Beindruckender Auftakt mit Handels „Siroe“.

von Werner M. Grimmel
Cosroe, Medarse, Laodice, Emira - die Namen klingen wie aus einer Phantasy-Geschichte, die in grauer Vorzeit und fernen Landen spielt. In der Tat handelt Georg Friedrich Händels Oper „Siroe“, die es 1728 in London auf 18 Aufführungen brachte und dann in der Versenkung verschwand, von einem persischen Königs und vom Gerangel seiner beiden Söhne um die Thronfolge. Eine Geschichte, die schon damals märchenhaft entrückt gewirkt haben muss. Händel hat sie seinem englischen Publikum durch kurz gehaltene Rezitative und berückend schöne Arien schmackhaft zu machen versucht. Gleichwohl konnte er so den Niedergang der italienischen Oper an der Themse nicht mehr verhindern. In Götzis wurde „Siroe“ nun zur Eröffnung von „operderzeit“ aus fast 300-jährigem Dornröschenschlaf erweckt. Sebastian Hirn, begabter schüler Luc Bondys, inszenierte das vernachlässigte Stück aIs packendes, zeitlos aktuelles Familiendrama, das Strindberg nicht grausamer hätte erfinden können. Auf leerer, nach hinten vor einer grauen, apsisrunden Rückwand ansteigenden Bühne (Franz Gronemeyer) waren die von Justina Klimczyk modern kostümierten Figuren beklemmenden, streng choreografierten Versuchsanordnungen ausgesetzt.

Der auf einer Vorlage des spätbarocken Libretto-Papstes Pietro Metastasio basierende Text (in Götzis italienisch mit deutschen Übertiteln gesungen) erzählt eine sadomasochistische Sex-and-crime-Story über Liebe und Rache, Misstrauen und Bruderzwist, Treue, Neid, Egoismus, ödipale Konflikte und psychische Selbstzerfleischung. Anspielungen auf biblische Konstellationen (Kain und Abel, Josef und seine Brüder, Judas‘ Verrat) schaffen im Verbund mit der Musik eine fast oratorisch-religiöse Atmosphäre. Bachs um dieselbe Zeit entstandene „Matthäus-Passion“ etwa ist überraschend nahe, wenn der unschuldig eingekerkerte Siroe, ältester Sohn des Königs Cosroe, in Todeserwartung seine ergreifende Arie singt. Dem jungen englischen Countertenor Tim Mead gelang eine vokal souveräne Studie des zwischen Loyalität und Auflehnung schwankenden Titelhelden. Nicht minder glanzvoll fielen die österreichischen Debüts seiner Kollegen Bernhard Schafferer (als fieser Bruder Medarse), Randal Turner (Cosroe) und Anna Dennis (Emira) aus, während Barbara Havar (als laszive Laodice szenisch beeindruckend) bei Koloraturen noch kleine Unsicherheiten mit Intonation und Phrasierung zeigte. Andreas Spering, international renommierter Händel-Spezialist, animierte das exzellente Orchester „operderzeit“ vom Cembalo aus zu süffisant-kultiviertem, erfrischend vitalem Spiel, das auch an Farbenpracht, Transparent und Emphase nichts zu wünschen übrig ließ.