Kritik einer Inszenierung und Installation im MaximilliansForum München



reenacting the reenactment, München 2012

Süddeutsche Zeitung, 28. Oktober 2012


Deutschland, ein Selbstmord

von Egberth Tholl
München - Irgendwann stieß Sebastian Hirn auf die Lebensgeschichte von Johannes R. Becher. Der war in der DDR eine Art Dichterfürst, war Kulturminister und hatte den Text für die Nationalhymne des sozialistischen Deutschlands geschrieben. In seiner Jugend allerdings ließ er noch wenig vom kommenden Funktionär spüren, vom vermeintlichen Künstler umso mehr. Der Papa des in München geborenen Becher war Landesgerichtsdirektor und hielt von den poetischen Träumen seines Filius‘ recht wenig; doch dann kam es zu einer Begebenheit, bei welcher dem Sohn das knochentrockene Macht- und Gesellschaftsbewusstsein seines Erzeugers zum Vorteil geriet.

Im Jahre 1910 beschloss Johannes in einem Anflug von Weltüberdruss und hormoneller Verwirrung, zusammen mit seiner Geliebten Fanny Fuß aus dem Leben zu scheiden. Für die Dame - Gelegenheits-Prostituierte, Tabakwarenverkäuferin im Tal und als „internationale Transformationskünstlerin“ mit dem Namen Little Lunch versehen - endete das Ansinnen von Becher jr. tödlich, dieser selbst verbrachte ein halbes Jahr im Krankenhaus. Sein Vater ließ indes den Todesschützen für unzurechnungsfähig erklären und die Akten verschwinden.
Zurück im Leben, durchforstete Johannes R. die niedersten Ausprägungen der Münchner Boheme, wurde morphiumsüchtigund wartete schließlich in einer thüringischen Irrenanstalt auf die ihn erlösende russische Revolution.

Bei dieser Geschichte wurde der Regisseur Hirn umtriebig. Denn schließlich ist immer noch Kleistjubiläum, der sich am 21. November 1811 zusammen mit Henriette Vogel erschoss. Also verschränkte er Texte von Kleist mit Reden Bechers, stellte dazu Ulrike Meinhof und das, was er in BKA-Akten zu deren Suizid fand - es gab keinen Abschiedsbrief, aber in der Zelle lag Wittgensteins „Philosophische Grammatik“, aufgeschlagen die Seiten 84 und 85 - und würzte die Zusammenstellung mit Texten von Heiner Müller.

Am heutigen Freitag um 21 Uhr ist die auch noch von Beuys inspirierte, installative Aufführung von „Deutschlandskizzen l“ im Maximiliansforum in der Altstadtring-Unterführung zu sehen. Unter anderen mit den Schwuhplattlern, Musik von Helga Pogatschar und Andi Bittl mit seinem Akkordeon.