Kritik einer Inszenierung in der Muffathalle in München




peep, München 2007

Süddeutsche Zeitung, 13. Juli 2007


Öffentliches Glück

Helga Pogatschars „Peep!“ in der Muffathalle

von Egberth Tholl
Da ist doch ein Bauch. Ein Kugelbauch. Nein, da ist kein Bauch, schon gar keine Kugel. Doch, sie ist schwanger, die Schlampe. Sie steht für den Erfolg der Schönheit und den Sex des Erfolgs. Er sollte einen Schwangerschaftstest machen. Quatsch, er sollte ersteinmal lernen, dass man zu Lammkoteletts keinen Reis isst. Schwanger? Und was ist mit dem Kokain? Das Ko-ka-in? Hahaha, tja.
Es gab schon viele Versuche, auf der Theaterbühne darzustellen, wie ein Individuum verschwindet, wenn alle seine tatsächlichen und behaupteten Eigenschaften, Lebensumstände und Handlungen in die Öffentlichkeit gezerrt werden. Doch selten war einer in der Grundanlage so pointiert, so gelungen und witzig wie „Peep!“, eine szenische Gesangsinstallation von Helga Pogatschar. Achim Wagner hat dafür - in einem überschaubaren Ausmaß - Textschnipsel aus dem allgemein gültigen Fundus von Illustrierten- Weisheiten gesammelt, die Pogatschar auf verschiedene Gesangslinien verteilt. Diese werden Figuren zugeordnet von denen vier ausschleßlich auf Videobildschirmen erscheinen (und ihr gesang vom Band kommt). Aus den Kommentaren von Hairstylistin, Ex-Freundin, Nachbarin und Feinkosthändler entsteht eine Außenansicht auf ein Paar, das in Gestalt von Monika Lichtenegger und Christian Hilz in der Muffathalle tatsächlich vorhanden ist, auf einem hohen Querriegel, der zugleich als Podest der sechs nahtlos verknüpften Leinwände dient.
Ein Clou der von sebastian Hirn eingerichteten und von Heinz Friedl dirigierten A-Cappella-Installation: Alle Figuren, ob real oder in Video, sind Lichtenegger und Hilz. Was das Paar von sich behauptet, was über die beiden behauptet wird, was überhaupt gesagt wird, verschwimmt zu einer einzigen Gier nach einem Skandälchen. Klassischer Boulevard also, den Hilz und vor allem Monima Lichtenegger mit dem Furor ihrer realen Präsenz, ihrer stimmlichen wie körperlichen Schönheit überstrahlen.

Helga Pogatschar schafft mit „Peep!“ eine Modulform, in der man noch viel weitergehende Inhalte einfüllen könnte. Der Umgang mit den Videos ist viruos, ihre rasante Abfolge von kalten Interieurs quasi mitdirigiert, die Gesangslinien sind meist extrem rhythmisisiert, ein Stakkato der Banalitäten, aus dem sich verdichtete Momente scheinbar echter Erkenntnis herausschälen. Doch auch die sind nur Trug, das (prominente) Individuum ist im Zeitalter seiner medialen Verfügbarkeit nur noch Projektionsfläche von Sehnsüchten. Am Ende steht das reale Paar als sein eigenes Abbild vor der Silhouette von Dubai inklusive Feuerwerk. Sein Glück ist öffentlich.







Kritik einer Inszenierung in der Muffathalle in München



NMZ, Sepember 2007


Zwei  Stimmen, viele Rollen, eine Show

Helga Pogatschars „peep!“ in der Münchener Muffathalle

von Andreas Kolb
Sie ist kein Staatstheater, sagt sie, und kann gerade deshalb immer machen was sie will. Sie gehört zur freien Szene München und ist dennoch jederzeit in der Lage mit ihren Projekten Räume bis 500 Zuschauer leicht zu füllen. So auch Anfang Juli in der Muffathalle: Dort hatte Helga Pogatschars Kurzoper „Peep“ Premiere - ein Zweipersonen -Stück von gut einer Stunde Dauer.

Helga Pogatschar hat den Ruf, für das Poppige und Schrille in der Neuen Musik zu stehen. Mit „Peep“ erfüllt sie diese Erwartungshaltung: „peep!“ ist ein reines A-cappella-Werk, in dem sich die Stimmen von Sopranistin Monika Lichtenegger und Bariton Christian Hilz mit den Stimmen eines vierköpfigen Videochores verbinden - ebenfalls von den beiden eingesungen. Die beiden Solisten erzeugen eine endlose Schleife repetitiver Motive und Textfragmente. Die Dramaturgie von „peep!“ bleibt dicht am Wortsinn des Titels - es ist die Einsicht in die Privatsphäre eines fiktiven Prominenten-Pärchens, wie sie uns von den Medien Tag für Tag aufbereitet wird.

Das Libretto von Achim Wagner besteht aus kurzen, prägnanten Statements, banal wie aufgeschnappte Gespräche am Nebentisch eines Schwabinger Szene-Cafés.
Wagner benutzt außerdem Textschnipsel aus Boulevard-Zeitschriften und Nachmittags-Talkshows und collagiert sie kunstvoll.

Gesprochen und gesungen wird vor allem aneinander bei - man kann dazu Polyphonie sagen, oder komplexe Einfachheit - es entsteht ein Gewebe aus Wort-, Satz- und Motivfetzen, das in seiner Klanglichkeit und seiner assoziativen Bilderfolge wiederum an das Schwabinger Café - oder ist es eine Bar in der Berliner Friedrichstraße? - erinnert.

Pogatschar breitet diesen Gesangsteppich sorgfältig aus: Auch wenn man das „Teppichmuster“ nach wenigen Minuten kennt, stößt man immer wieder auf überraschende Details.

Regisseur Sebastian Hirn inszeniert eine zeitgenössische Lifestyle-HochglanzbiIderwelt und verschränkt beide Welten, die „echte“ auf der Bühne und die virtuelle auf dem Video-Screen, temporeich und mit Witz ineinander (siehe unser Bild). Eine kurzweilige Kurzoper, die sicher bald auf der Bühne eines Stadt- oder Staatstheaters aufauchen wird.