Kritik einer Ausstellung in der Schalterhalle in Starnberg



nah - fern, Starnberg 2013

Münchner Merkur, 14. Oktober 2013


SCHALTERHALLE BAHNHOF STARNBERG

Der Kunstraum ein Kontrollraum?

von Astrid Amelungse-Kurth
Starnberg - Vorsicht Stolpergefahr! Das Schild vor der Eingangstür zur ehemaligen Schalterhalle des historischen Bahnhofs in Starnberg könnte Bestandteil der Installation von Sebastian Hirn sein, der sich nun zusammen mit Ursula Steglich-Schaupp in der Kunstreihe nah-fern vorstellt. Derart vorgewamt - wenn auch aus Haftpflichtgründen - betritt der Besucher diese siebte Ausstellung sehr wachsam.

Gleich hinter der Eingangstüre hält ihn ein Schriftzug auf dem Boden davon ab, weiter in den Raum zu gehen. „Unser Weg zu mehr Lebensqualität“ steht da. Dieser Weg führt zu Überwachungsmonitoren, zu Kabelsträngen, Netzsteckern und Kameras. Auf den Monitoren am Boden flimmern triste Bilder von verlassenen Wohnungen, Aufnahmen aus dem ersten Stock eines Gebäudes, das bis vor kurzem noch bewohnt war. Sie wirken wie virtuelle Tatorte der Vergangenheit. Der Raum ist abgeschottet, abgedichtet mit Styroporplatten, an der Rückwand eine rosarote Front, die als Fremdkörper den Außen- vom Innenraum abschottet. Ganz ernst nehmen soll man das wohl nicht, denn zur Vernissage traten die „D’Schwuplattler“ auf, die erste schwule Schuhplattlergruppe, die in diesem Umfeld sehr kurios wirkten. Dennoch wirft die Installation von Hirn - er stammt aus einer bekannten Münchner Bildhauerfamilie - ernstzunehmende Fragen auf.
Wie die, ob die Neunutzung des Gebäudes als Kulturraum mehr Lebensqualität oder eher ein Instrument ist, Kunst zu kontrollieren?

Bei der Vernissage jedenfalls wagte sich das Publikum nicht in die Nähe der Kabelstränge und blieb vorsichtig vor den, Wänden stehen, an denen die großformatigen Gemälde von Ursula Steglich- Schaupp hängen. Hier entdeckt man die Künstlerin neu, die sich im vergangenen Jahr von alten Mustern befreit hat. In einer Art Spurensuche übermalte sie unvollendete Bilder ihres vor zwei Jahren verstorbenen Ex-Ehemannes Ekke Steglich, einst Kunstlehrer am Starnberger Gymnasium. Ein ungeheuerlicher Vorgang eigentlich, bei dem sie nicht nur Bilder übermalt, sondern alte Gefühle freigelegt, das Leiden an der Leidenschaft sichtbar macht. Mit ihrer transparenten, gleichwohl intensiven Farbigkeit - oft in hellen Rottönen - lässt Sie beide Seiten zur Sprache kommen, schleudert aber ihren Sturm der Gefühle wild auf die Leinwand, um sich sogleich mit formaler Disziplin und einer behutsamen Komposition zu zügeln. So wird jedes Bild ein Zwiegespräch der Leidenschaft.

„nah-fern“ in der Schalterhalle im historischen Bahnhof in Starnberg ist bis zum 27. Oktober zu sehen. Geöffnet Freitag, Samstag und Sonntag von 14 bis 18 Uhr.










Kritik einer Ausstellung in der Schalterhalle in Starnberg



Süddeutsche Zeitung, 19./20. Oktober 2013


Ursula Steglich-Schaupp und Sebastian Hirn verdeutlichen in der Ausstellung „nah - fern“ im Starnberger Seelahnhof die Spannung zwischen Begegnung und Abschied.

Die Spannungsreichen

von Katja Sebald


Starnberg - Die aktuelle Ausstellung in der ehemaligen Schalterhalle des historischen Bahnhofs am Starnberger See, für die Ursula Steglich-Schaupp und Sebastian Hirn auf sehr unterschiedliche Weise Arbeiten speziell für den Ausstellungsort entwickelt haben, ist die bislang spannungsreichste und überzeugendste in der Reihe „nah - fern“, wobei der Begriff „spannungsreich“ durchaus auch wörtlich zu verstehen ist. Jeweils zwei Künstler bespielen den denkmalgeschützten Bahnhof temporär und gehen dabei thematisch auch auf seine ehemalige Funktion ein: Es geht um Begegnungen und Abschiede, um Nähe und Ferne - und, ja, um Spannungen, die daraus entstehen können. Jede der drei Kuratorinnen Katharina Kreye, Ulrike Prus- seit und Ursula Steglich-Schaupp, tritt dabei einmal auch als Künstlerin in Erscheinung.
Ursula Steglich-Schaupp hat für diese Ausstellung Leinwände ihres verstorbenen Mannes übermalt. Auf die teils fertigen, teils unvollendeten Bilder im stets gleichen Format hat sie neue Schichten von Acryl, Tempera, Bitumen, Schellack, Farbpigmenten und Sprühlack aufgetragen. Die ursprünglichen Bildinhalte wurden dabei zwar weitgehend unsichtbar gemacht und dem Archivieren entrissen, dennoch hat die Künstlerin dieses Vorgehen keineswegs als Auslöschen der Vergangenheit oder gar als brutale „Abrechnung“ empfunden, sondern vielmehr als Zwiegespräch mit dem Verstorbenen und als Erinnerungsarbeit.
Das ursprüngliche Bild, das in kleinen Partien erhalten bleibt und das so das neue Werk mitgestaltet, erfährt - ganz im Sinne der Übermalungen Arnulf Rainers - durch die sorgfältige Bearbeitung eher eine Würdigung denn eine Zerstörung.



Entstanden sind so ungemein starke, malerische Bilder zwischen Figürlichkeit und Abstraktion in leuchtenden Farben, wobei ein kräftiges Pink überwiegt.

Auch wenn Sebastian Hirn in seiner Installation dieses Pink auf durchaus zynische und distanzierende Weise zitiert, indem er die Fensterfront zum See mit Dämmmaterial aus dem Baumarkt in gleicher Farbe abgedichtet hat und damit den Bildern ihr Licht nimmt, so besteht doch eine weitere, inhaltliche Verbindung zwischen den Künstlern, die sich hier so spannungsreich begegnen, denn auch Hirn greift ein Verfahren auf, das auf aktionistische Tendenzen der 1960er Jahre zurückgeht. Einige der ersten Videoarbeiten, etwa die von Nam June Paik, waren Closed- Circuit-Installations, die auf der Gleichzeitigkeit von Realität und Abbild basieren. Nach dem Prinzip einer Überwachungskamera ist dabei das Aufnahmemedium direkt mit dem Abbildungsmedium, dem Monitor, verbunden. Nun mag es Zufall sein, dass die Kameras, die Hirn in den leerstehenden Räumen über der Schalterhalle installiert hat, nicht nur Gegenwart in Echtzeit abbilden, sondern zugleich eine Zeitreise in eben diese 1960er Jahre gestatten, als man rosfarbene Fliesen verlegte und neobarocke Lüster an der Decke montierte. Der Kabelstrang, der diese Bilder auf die Monitore in der Schalterhalle transportiert, verläuft durch ein Loch in der Deckenverschalung, das wiederum mehrere Schichten der Baugeschichte des Bahnhofs freilegt.






Kritik einer Inszenierung und Installation im MaximilliansForum München