Kritik einer Inszenierung am Volkstheater München



Kampf des Negers und der Hunde, München 2005

Tz, 10. Oktober 2005


Die Bastler von Lebenslügen

„Kampf des Negers und der Hunde“ im Münchner Volkstheater

von B. Kayser
Großstädtisch, kühn, intelligent hat der junge Regisseur Sebastian Hirn seine Regie zum Kampf des Negers und der Hunde“ von Bernard- Marie Koltès entworfen.

Das sieht man am radikal stilisierten Bühnenbild von Bernhard Hammer: keine konkrete Baustelle mehr wie bei der Uraufführung von Chereau, die in München unter dem weiten Schwung einer Autobahnbrücke gastierte, sondern ein weiter, unwirtlicher, beklemmend niedriger Raum (geht ja bei dem amphitheaterhaft ansteigenden Volkstheater-Zuschauerraum) nicht konkret als Afrika verortet ist. Es ist ein Raum der Verlierer, der Bastler von Lebenslügen ein Raum der unüberbrückbaren Fremdheit von allen zu allen. Hirn will, unterstützt von der brillanten Beleuchtung von Günther E. Weiß, der sich geradezu überschlägt in den verschiedenen Nuancen der Nicht-Beleuchtung, aufs Archetypische hinaus. Die Personen sind oft mehr zu erahnen als zu sehen, tauchen entindividualisiert als Schemen oder scharfe Schatten auf. Wird die Sprache das tragen? Koltès ist ja in München lange nicht überprüft worden. Beim Wiederlesen des Textes ist man hoffnungsfroh da wirkt nach gut 20 Jahren nichts verwelkt, die Konflikte bestehen und interessieren nach wie vor: Auf einer Brücken-Baustelle von Europäern in Afrika kommt ein schwarzer Bauarbeiter zu Tode; erschossen von einem Ingenieur.
Wie in einem Albtraum taucht sein Bruder auf und will die Leiche, die aber längst wie Müll weggeworfen ist. Hochmut der Europäer - dummdreist vom Ingenieur Cal, differenzierter vom vermeintlichen Afrika-Kenner Horn und die Fasziniertheit der weißen Frau durch den Schwarzen (in unseren Kinos läuft ja gerade „Die Weiße Massai): Das alles gilt Wort für Wort, wie Koltès es geschrieben hat. Aber wie kommt das Wort in seinem Glanz auf die Bühne? Geheimnisvoll, sanft und gefährlich bei Falilou Seck, der, geschmeidig und lautlos wie ein Panther, überall anwesend zu sein scheint. Differenziert auch bei Alexander Duda, einem Baustellenleiter, der gern mit Jovialität und Lässigkeit, fast mit ein bisschen Selbsironie die Lage in den Griff kriegen möchte und bitter scheitert, wenn er Persönliches ausgerechnet dem hart taktierenden Schwarzen anvertraut. Die kleine Nervensäge Leone, mit Glitzerkleidchen und High Heels ausgerechnet in diesen Baustellen-Matsch gereist (es regnet, etwas nervig, zwei Stunden ohne Unterbrechung und alle patschen im Wasser herum), bleibt der Figur doch eine Dimension schuldig. Vor allem aber Nicholas Reinke als Cal kommt über ein flaches, oft auch noch unverständliches Einheitsgeschrei nicht hinaus. Bei diesem Vierer müssen aber alle gleich gut sein, sonst hängt der Text, scheint voller Wiederholungen zu stecken und lässt kalt. Die zweite Dimension dürfte eben nicht unterschlagen werden. Dem begabten Sebastian Hirn ist das kaum anzulasten.







Kritik einer Inszenierung am Volkstheater München



Süddeutsche Zeitung, 10. Oktober 2005


Inseln im Strom

von Egberth Tholl
Koltès‘ „Kampf des Negers und der Hunde“ am Volkstheater. Alboury spricht Wolof. Hockt oben auf der Bühnenkonstruktion, einer Art aufgebockten Unterwelt einer apokalyptischen Hochtiefbau-Phantasie, und spricht in sein Handy. Lange. Und auf Wolof. Wolof spricht man im Senegal, es ist die verbreitetste Stammessprache dort. Falilou Seck, welcher Alboury ist, spricht wunderschön, spricht auch schöne arabische Koransuren (im Senegal gibt es einen großen islamischen Bevölkerungsanteil). Und er spricht sehr lange. Heiß ist ihm auch, er hat einen kleinen Ventilator dabei. Der Beginn von Sebastian Hirns Inszenierung von Bernard-Marie Koltès‘ Stück „Kampf des Negers und der Hunde“ ist zunächst eine reine Etude über den Koltès-Satz, er schreibe nur Stücke, damit Araber und Schwarze auf der Bühne stehen. Weiters erzählt er, dass man in Afrika auf einer sinnlosen Baustelle ist und dass dort ein Handy ein Statussymbol ist. Und dann tut sich das große böse Herz der Finsternis auf und verschlingt alles.

Koltès, überhitzter, selbstzerfressender, frühverstorbener Skeptiker europäischer Kulturhoheit, hat viel von seinem Kollegen Genet gelernt, der 20 Jahre vor ihm ganz unmittelbar an den Kolonialkonflikten Frankreichs dran war. Der zeitliche Abstand führt bei Koltès einerseits zu einer allegorischen Zeitlosigkeit, durch die ein Prise Abenteurertum wabert, was die Schärfe der möglichen Aktualität angesichts eines grenzwütigen Europas abschwächt. Und andererseits überträgt er seine wilden Fabeln in einen immerwährenden Diskurs von Handeln und Verhandeln, einen großen, sperrigen Worthaufen. Da stellt sich die Frage, ob „Kampf des Negers und der Hunde“ wirklich das ideale Stück fürs Volkstheater ist, dessen wunderbare Qualitäten ja nicht unbedingt im Sezieren von schwerer Sprache liegen.

Freilich: Sebastian Hirn, dessen einst Friedrich Schirmer erfolglos fürs Stuttgarter Staatsschauspiel als Hausregisseur habhaft werden wollte, findet eine kluge Lösung aus dem Dilemma, die mit etwas größerer Unverschämtheit gegenüber der Vorlage ein wirklich irisierender Alptraum hätte werden können.

Der Raum ist toll. Eine Bühneninstallation (von Bernhard Hammer) von einer bedrückenden Baustelle, auf der es ständig regnet. Nebel kriecht in den Zuschauerraum, Helga Pogatschars Musik ins Unterbewusste der Zuschauer. Wenn die ekstatisch aufbricht, eskaliert die Unruhe, das Unbehauste der vier Figuren, die alle zwischen Widerlichkeit, Sehnsucht, kalter Nutzenkalkulation und Begierden changieren, zu nackter Gewalt. Das sind große Moment, die schmerzen. Davon hätte man gerne mehr gehabt und auf mehr Koltès-Text verzichtet. Denn in seiner Abstraktion ist dieser überschaubar, wenn ihn nicht vielfarbige Schauspieler durchdringen, zum Leuchten bringen können. Am schönsten gelingt dies Elisabeth Müller als Leone. Die hat sich der impotente Baustellenleiter Horn in den Dschungel geholt; dort mutiert sie von einer Modepuppe zur schillernden Sehnsuchts-Lulu, die grad noch mit den Zehenspitzen Bodenkontakt hat und der der Ingenieur Cal nachstellt, was nichts wird, schon allein weil sich Nicholas Reinke in überschäumender Larmoyanz ohne jede Varianz ergeht. Alexander Dudas Horn ist dagegen ein gemeißelter Monolith des Überdrusses, der Neger Alboury eine klare, männlich-elastische Antigone, ein beeindruckend körperlicher Geist, der den toten Bruder von den Baustellenmenschen fordert. Vier einsame Inselmenschen im Strom des Unheils, gespenstische Schemen einer Welt, die unrettbar an ihrem falschen Konstrukt verrottet.







Kritik einer Inszenierung am Volkstheater München



Nürnberger Nachrichten, 10.. Oktober 2005


Die gefährliche Bestie in uns allen

„Der Kampf des Negers und der Hunde“ am Münchner Volkstheater

von Alexander Altmann
Die Nachwuchsförderung liegt Christian Stückl, Intendant des Münchner Volkstheaters, besonders am Herzen. Zum Spielzeitauftakt inszenierte der Jungregisseur Sebastian Hirn den „Kampf des Negers und der Hunde“. Am 1. Dezember folgt die viel beachtete junge Regisseurin Jorinde Dröse mit Shakespeares „Viel Lärm um Nichts“. Stückls Inszenierung von Georg Büchners „Woyzeck“ hat am 26. Januar Premiere.

Da ist es also doch gelungen, eine neue Baustelle aufzumachen. Und das im übertragenen wie im wörtlichen Sinn: Dutzende Eisenstützen tragen eine niedrige Decke, auf die ein Dauerregen niederrauscht (Bühne: Bernhard Hammer). Alles tropf und gluckert, im Hintergrund hat sich eine riesige Wasserlache gebildet, in der die Akteure herumwaten, und so ist diese bedrückend verlotterte Brücken-Baustelle der ideale Ort für jene Schlammschlachten des Unbewussten, die der 1989 jungverstorbene Bernard-Marie Koltès in seinem „Kampf des Negers und der Hunde“ (1979) zelebriert. Eine Baustelle irgendwo in Afrika, wo eine international tätige Firma einheimische Arbeiter ausbeutet, ist der Schauplatz dieses düsteren Stücks, aber die Baustelle, die wir hier auf der Bühne sehen, ist ein Keller unserer atavistischen Triebe.

Am Münchner Volkstheater hat Jungregisseur Sebastian Hirn einem Kultstück aus jener gar nicht so fernen Vergangenheit, als noch nichts „Kult“ war, unerwartet neues Leben eingehaucht. Denn statt eine scheinaktuellen Abhandlung über den „Clash of Civilisations“ präsentiert der Regisseur einen spannenden Archetypen- Thriller.


Die Geschichte des „Negers“ (undurchdringlich-präsent: Falilou Seck), der auf die Baustelle eindringt, um von deren weißem Leiter (gefährlich differenziert: Alexander Duda) die Leiche eines schwarzen Tagelöhners zurückzufordern, den der Ingenieur der Baufirma (Nicholas Reinke als schmierig-rassistischer Weichling) erschossen hat, bildet dabei nur den Hintergrund für ein Bacchanal aus Sex, Gewalt und Heimtücke.

Denn auch wenn die Geschwätzigkeit des (zu wenig gekürzten) Textes stellenweise den Rhythmus der Inszenierung ins Stolpern bringt - in ihren besten Momenten überzeugt diese Aufführung durch verstörend-magische Bilder, gespenstisch-surreale, aber doch bedrohlich diesseitige Tableaus hart an der Kitschgrenze, die den Topos einer dunkel-lockenden Welt nur zitieren, um tatsächlich deren ganzen Schrecken erfahrbar zu machen.

Am Schluss stehen alle Akteure mit Tiermasken im, grellen Gegenlicht: Das sind wir, längst jenseits von Afrika, das hier nur noch als austauschbare Metapher dient für die Barbarei, die unter der unfertigen Brücke der Zivilisation lauert. Denn dass es eben nicht simple „Kulturgegensätze“ sind, die das Animalische ausbrechen lassen, gerade das macht diese Inszenierung deutlich, indem sie die lauernde Bestie in uns allen entlarvt, Was zwar die Frage aufwirft, ob es nicht immer konkrete, von Interessen bestimmte Verhältnisse sind, die diesen Drachen wecken - aber das wäre nochmal eine andere Baustelle.





Kritik einer Inszenierung am Volkstheater München



in münchen, 13.10. -26.10.2005


Von Brücken und anderen Annäherungsversuchen

Der Kampf des Negers und der Hunde“ von Bernard-Marie Koltès am Volkstheater-

von Ines Botzenhard
Unendliche Weiten, leuchende Farben und gleißender Sonnnenschein? Fehlanzeige! In Afrika, das der 30-jährige Regisseur Sebastian Hirn auf die Bühne des Münchner Volkstheaters bringt, regnet es volle zwei Stunden lang. Kein Farbtupfer weit und breit, nur Wasser, das unermüdlich von der Decke tropft und Nebelschwaden, die aus dem Hintergrund aufsteigen. Es ist ein klaustrophobischer Raum (Bühne: Bernhard Hammer), in dem man vergeblich nach einem Hauch Exotik sucht. Niemandsland. Kalte Gerüstelemente, die lange Schatten werfen, Zwischendecken mit Kanaldeckel großen Öffnungen, durch die ab und zu ein wenig Licht dringt, eine Batterie lehrer Whiskeyflaschen am Boden, im Hintergrund eine riesige Pfütze.

In diesem trostlosen Drecksloch prallen sie aufeinander: die Erwartungen der Figuren, die letztlich nichts verbindet als ihre tief sitzende Angst voreinander. Die Großbaustelle einer europäischen Firma im afrikanischen Nirgendwo. Vier verlorene Gestalten belauern sich hier wie Hund und Katz: Alboury, „der Neger.“ (Falilou Seck), der Bauleiter Horn (Alexander Duda), dessen Verlobte Leone (Elisabeth Müller) und der Ingenieur Cal (Nicholas Reinke), der einen Hilfsarbeiter auf dem Gewissen hat, weil der ihm vor die Füße spuckte. Alboury ist in die hermetisch abgeriegelte Siedlung der Weißen eingedrungen und fordert den Leichnam seines ermordeten Stammesbruders. Der Tote wurde jedoch dummerweise bereits in der Latrine „entsorgt“ - und so bleibt Horn nichts anderes, als mit dem so rätselhaften wie unberechenbaren Fremden zu verhandeln. Cal hält nichts von Diplomatie und entscheidet sich für Krieg. Die Brücke, die er bauen sollte, wird letztlich unvollendet bleiben.
Der Kampf des Negers und der Hunde, 1979 entstanden und vier Jahre später uraufgeführt, ist kein realistisches und schon gar kein zeitkritisches Stück. Rassismus und Kolonialismus dienten Koltès in erster Linie als Füllmaterial und Afrika vor allem als Projektionsfläche für die Hoffnungen und Sehnsüchte der Figuren. Spannend ist der Blick in die Abgründe menschlicher Beziehungen. Jeder kämpft hier gegen jeden - und alle sprechen aneinander vorbei. Die Dialoge geraten zu monologischen Ergüssen. Rechtfertigungsarien, ins Nichts gerichtet. Jeder will etwas über den „anderen“ sagen, und gibt doch immer nur ein bisschen mehr von sich selbst preis.

Volkstheater-Regie-Debütant Sebastian Hirn hat sich - etwa im Vergleich zu Dimiter Gotscheffs überdrehtem Feuerwerk an der Berliner Volksbühne - für eine nüchtern-düstere Lesart entschieden. Doch gerade die Ausflüge in die Groteske prägen sich ein: Leone im silbernen Paillettenkleid, die sich mit naiver Begeisterung dem „edlen Wilden“ an den Hals wirft, sich erst auf russisch, dann auf „ausländisch“ mit ihm verständigen, schwarz und endlich glücklich werden will und doch wieder nur im Dreck landet. Oder der überspannt-aggressive Cal im weißen Dandy- Anzug, der so gerne Weltbürger und Frauenheld wäre, aber von seinen Vorurteilen gnadenlos ausgebremst wird. Fazit: Vom „Kampf der Kulturen“ erfährt man an diesem Abend nichts Neues, vom Tier namens „Mensch“ und seiner Einsamkeit dagegen umso mehr. 








Kritik einer Inszenierung am Volkstheater München



Go, 11/05


Der Kampf des Negers und der Hunde

Volkstheater

von Dorine Kaiser
„Das ist nicht Afrika, das ist eine Baustelle“. Das sieht man. Die Bauträger lassen einen niedrigen Bühnenraum frei, der durch die Stehlen einem Labyrinth ähnelt, das hinten in einer Wasserlache versinkt. Dichter Nebel umwabert diesen provisorisch unfertigen Ort, an dem nur ein Plastiktisch, Plastikstühle und neben leeren Whisky -Flaschen die Koffer der neu angekommenen Leone auf Leben schließen lassen. Das kann man sich denken, dass das Leben an einem so unwirtlichen Ort nicht zum Besten ist. Und da kommt der Neger, der Bruder eines Baustellenarbeiters und will die Leiche seines gestern getöteten Bruders haben. Mit dieser harmlosen Forderung bringt er jedoch den eingespielten Mechanismus zum Wanken, die Menschen müssen aus dem Nebel heraustreten und Stellung beziehen, denn wenn der Baustellenleiter seinen Ingenieur decken will, macht er sich auf einer anderen Ebene gegenüber dem Neger schuldig.
An einem persönlichen Drama exemplifiziert Bernard-Marie Kultes die Schwierigkeit des Umgangs mit einem anderen Kulturkreis und des daraus entstehenden menschlichen Konflikts.

Ein sensationeller Auftakt für die neue Spielzeit im Volkstheater: dem Jungregisseur Sebastian Hirn ist, unterstützt durch die wunderbar eindringliche Schauspielleistung der vier Spielenden, ein dichter bedrückend- schöner Abend gelungen!









Kritik einer Inszenierung am Volkstheater München



Donaukurier, 10. Oktober 2005


Die Unfähigkeit zu verstehen

von Hannes S. Macher,
München (DK) Eine fürchterliche Schwüle liegt über dem Land, die Luft ist zum Zerschneiden, und der Monsunregen prasselt unaufhörlich herab. Die Nerven der Menschen irgendwo im fernen Afrika, jenseits jeglicher Zivilisation liegen blank. Die beiden französischen Bauingenieure Horn und Cal erfüllen unter widrigsten Umständen den Auftrag ihrer Firma, eine Brücke zu errichten. Doch erst halb fertig , soll das Projekt wieder abgebrochen werden. Niemand weiß warum. Wahrscheinlich des fehlenden Geldes wegen. Bevor die beiden Bauleiter jedoch nach Frankreich zurückkehren, wird gefeiert. Feuchtfröhlich, wie‘s sich gehört und mit Horns junger Freundin, die dafür extra aus Paris eingeflogen wird. Das Abschiedsfest nimmt freilich eine andere Wendung als geplant: Nicht nur Horns Geliebte fühlt sich zu einem schwarzen Bauarbeiter hingezogen, sondern dieser Farbige wird auch den Tod seines Bruders rächen, indem er den Bauführer Cal, den er des Mordes verdächtigt, erschießt.

Das Aufeinanderprallen europäischer und afrikanischer Kultur, Sitten und Denkweisen, die Ausbeutung von Menschen schwarzer Hautfarbe und deren Gefühle durch die „Herrenrasse“ zeigt der 1989 im Alter von 41 Jahren an Aids gestorbene französische Autor Bernard-Marie Koltès in seinem Schauspiel „Kampf des Negers und der Hunde“ höchst eindrucksvoll auf. Und Bühnenbildner Bernhard Hammer hat im Volkstheater dazu ein Baugerüst installiert, das von leer gesoffenen Whiskyflaschen und Wasserpfützen, die der Regen ständig vergrößert, eingerahmt wird.

In dieses absolut unwirtliche Ambiente packte Sebastian Hirn, der hiermit sein fulminantes Münchner Regiedebüt gab, in einer ungemein atmosphärisch dichten Inszenierung diesen Kampf zwischen Schwarz und Weiß. In symbolisch düsteres Licht getaucht und von Nebelschwaden, die bis tief in den Zuschauerraum reichen, ist diese Szenerie umwallt, die die Kälte der Beziehungen dieser Menschen ebenso eindrucksvoll manifestieren, wie die (aus den Lautsprechern tönenden) fremden Klagelaute, die Tierschreie und die teilweise ohrenbetäubenden flirrenden Rhythmen das Makabre und Gespenstische der Situation unterstreichen.
Eine Aufführung jedenfalls, die - trotz einiger Längen - ganz gewaltig an den Nerven der Zuschauer zerrt. Ein Stück, das weniger eine Handlung aufweist als vielmehr Gefühle verletzlicher und verletzter Menschen offen legt und daher beim Theaterbesucher für ein besseres Verstehen unterschiedlicher Mentalitäten von Europäern und Afrikanern wirbt. Ein Umstand, der durch die exzellente Schauspielerschar besonders gefördert wird: Alexander Duda ist der Baustellenleiter Horn auf Abruf, der mit Jovialität und Chuzpe die Spannungen zwischen Schwarz und Weiß abzubauen hofft und doch der Resignation stets sehr nahe ist, während Nicholas Reinke den Ingenieur Cal spielt, der sein zerrüttetes Nervenkostüm hinter Arroganz und reichlich Alkohol zu verbergen versucht und ständig in weinerliche Hysterie ausbricht. Ein neurotisch-aggressiver Schwächling, den die einheimischen Schwarzen nur als Inbegriff des Neo-Kolonialismus ansehen können.  Am überzeugendsten jedoch agiert hier Elisabeth Müller in der Rolle der zerbrechlichen, etwas naiven und doch innerlich aufgewühlten, der zwischen Angst vor und Zuneigung zu dem farbigen Bauarbeiter Alboury hin- und hergerissenen Leone. Ein durch und durch fragiles Geschöpf, das seine Stärke stets unter Beweis zu stellen versucht - und scheitert. Und der dunkelhäutige Westafrikaner Falilou Seck verkörpert den Stolz und die Verletzbarkeit dieses Alboury höchst eindrucksvoll.

Ein Theaterstück jedenfalls, das die zwischenmenschliche Kälte und die Unfähigkeit des Verstehens zwischen Schwarz und Weiß geradezu erschreckend aufzeigt und deswegen ganz vehement zur Toleranz auffordert. Eine Aufführung zum Saisonstart, die gewaltig unter die Haut geht. Heftiger Applaus des Premierenpublikums im Münchner Volkstheater.






Kritik einer Inszenierung am Volkstheater München



BR kulturWelt, 10. Oktober 2005


Kampf des Negers und der Hunde Bernard- Marie Koltes

Regie: Sebastian Hirn

Volkstheater München Rezension für Bayerischen Rundfunk Kulturwelt

von Sven Ricklefs
Er sitzt schon dort, wenn man den Zuschauerraum betritt, er ist schon da, sitzt da oben auf halber Höhe des Bühnenportals und telefoniert mit seinem Handy, sitzt da am oberen Rand der Baustelle, die noch verhängt ist, ist schon präsent und wird es den Abend über bleiben. Manchmal vielleicht ist er als Schwarzer, der in dieser ungehörten Zunge spricht, manchmal ist er vielleicht nur jene Bedrohung in unseren Köpfen, zu der das Fremde von unseren Hirnen im Reflex fast immer entstellt wird, manchmal ist er physisch wirklich präsent, auch wenn er im dunklen Schatten des Bühnenbildes oft verschwindet, oder nur von oben mit dem halben Körper hineinragt.

Doch die Leiche liegt längst in der Latrine dieser Baustelle; ein Mord soll vertuscht werden begangen von einem weißen Ingenieur an einem schwarzen Arbeiter.

Diese Baustelle irgendwo in Westafrika wird stillgelegt worden, das Straßenprojekt ist gescheitert. Daß diese Brücke nie vollendet wird, daß der Brückenschlag ins Leere hängt, diese Bild wölbt sich gleichsam als Metapher über Bernard-Marie Koltes frühes Stück „Kampf des Negers und der Hunde“: Die Brücke zwischen den Kulturen, die Brücke zwischen diesem Afrika und jenem Europa, daß sich einmal  einbildete diesen Kontinent nicht nur wirtschaftlich ausbeuten  sondern auch kulturell nivellieren zu können, diese Brücke kann es  nicht geben. Nicht umsonst ziehen wir als reiches Europa gerade  ganz aktuell unsere Zugbrücke hoch, indem wir etwa in der  spanischen Enklave Melilla die Stacheldrahtzäune von drei auf sechs  Meter erhöhen um die zur Zeit wieder einmal anschwellenden Ströme von Menschen, die im Angesicht von Armut, Hunger, Kriegen oder Tod in das angeblich gelobte Land aufbrechen im  wahrsten Sinne des Wortes ins Netz gehen zu lassen.
So tagesaktuell  wohl gar nicht geplant, hat der junge Regisseur Sebastian Hirn nun  den „Kampf des Negers und der Hunde“ für das Münchner  Volkstheater in Szene gesetzt.
Dabei ist es ihm gelungen, die  manchmal arg daherraunende Dramatik des bereits 1989 viel zu früh  verstorbenen französischen Erfolgsautors Koltes gemeinsam mit  seinen Schauspielern sehr konkret zu erden, ohne dem Stück seine  Bedrohlichkeit zu nehmen. Sie hat der Regisseur vor allem in sein  Bühnenbild übersetzen lassen: dieser immer wieder von  Nebelschwaden durchzogene und dabei ins Zwielicht getauchte Ort,  scheint als Baustelle in die untere

Hälfte des Bühnenraumes  heruntergedrückt zu sein, auf den es zwischen seinen rostigen  Streben nie aufhören wird zu regnen. Und hier in dieser diffusen  Schwüle zwischen all den langhalsigen Whiskeyflaschen, hier in  diesem Afrika, werden die einsamen Bauingenieure, von denen sich  einer eine Frau als Verlobte hat einfliegen lassen, die nun im  geradezu lächerlichen Pailettenkostüm und auf Silberhacken durchs  Bild stöckelt, hier werden diese Ingenieure immer mehr zu Afrika. Gefangenen ihrer eigenen Klischee von eben diesem Kontinent. Das  was sie in den sogenannten „Bimbo“ hineinprojizieren, wächst in  ihnen selbst: das Tier zwischen Mordlust und Instinkt sinnt auf  Verrat, Vergewaltigung, vielleicht auf einen weiteren Mord.
Und sohat sich Regisseur Sebastian Hirn mit seiner ästhetisch konsequenten  und szenisch packenden Inszenierung sicherlich als Glücksgriff für das Münchner Volkstheater erwiesen und mit seiner Entscheidung  für das dramatisch durchaus sperrige Stück von Bernhard Marie Koltes zumal als Saisonauftakt  beweist dieser neben Mut zu jungen Regietalenten zugleich seinen Willen auch zum dramaturgischen Risiko.  









Kritik einer Inszenierung am Volkstheater München



BILD - Zeitung, 10. Oktober 2005


Lügen, Saufen, Prügeln

von W. Ranft
München - Eine Baustelle. Stahlstützen, Holzbalken. Durch Löcher und Ritzen tropft Regen, zwei Stunden lang, ununterbrochen. „Der Kampf des Negers und,der Hunde“: Das erste neue Stück der Saison im Volkstheater ist eine dunkle, beklemmende Erfahrung.

Der Neger: das ist Alboury (Falilou Seck), der die Leiche seines Bruders von der Baustelle irgendwo in Afrika abholen will. Die Hunde: das sind die Weißen, die die Baustelle betreiben. Alboury gibt dem Stück (Autor: Bernard Marie Koltès .1982) den Namen, zu sehen ist er selten. Er kämpft auch nicht, das besorgen die Weißen untereinander selbst.

Sie lügen, sie saufen, sie intrigieren, sie prügeln, sie kriechen, sie quälen. Alles, was böse ist in Europa, es bricht auf dieser afrikanischen Baustelle heraus.

Regisseur Sebastian Hirn packt das Stück voll mit negativer Energie, die auch zu Eugene O‘Neill („Eines langen Tages Reise in die Nacht“) oder Arthur Miller („Tod eines Handlungsreisenden“) passen würde.







Kritik einer Inszenierung am Volkstheater München



Bayerische Staatszeitung, 14.10.2005


Münchner Volkstheater eröffnet mit „Kampf des Negers und der Hunde“ von Bernard-Marie Koltès

Die lauernde Bestie in uns allen

von Alexander Altmann
Das Leben ist eine Baustelle. Und am Münchner Volkstheater gilt das auch im wörtlichen Sinn: Eisenstützen tragen eine niedrige Decke, auf die ein Dauerregen niederrauscht (Bühne: Bernhard Hammer). Alles tropft und gluckert, durch eine Wasserlache waten die Akteure. Und so ist diese bedrückend verlotterte Brücken Baustelle der ideale Ort für jene Schlammschlachten des Unbewussten, die der 1989 jung verstorbene Bernard-Marie Koltès in seinem Kampf des Negers und der- Hunde (1979) zelebriert. Eine Baustelle in Afrika, wo eine international tätige Firma einheimische Arbeiter ausbeutet, ist der Schauplatz dieses düsteren Stücks. Aber die Baustelle, die wir auf der Bühne sehen, ist ein Keller unserer atavistischen Triebe, Jungregisseur Sebastian Him hat einem Kultstück aus jener gar nicht so fernen Vergangenheit mit seiner zupackenden Inszenierung unerwartet neues Leben eingehaucht. Denn statt noch einer weiteren vordergründigen, scheinaktuellen Abhandlung über den „Clash of Civilisations“, präsentiert er einen spannenden Archetypen-Thriller.
Die Geschichte des „Negers“ (undurchdringlich-präsent: Falilou Seck), der auf die Baustelle eindringt, um von deren weißem Leiter (gefährlich differenziert: Alexander Duda) die Leiche eines schwarzen Tagelöhners zurückzufordern, den der Ingenieur der Baufirma (Nicholas Reinke als schmierig-rassistischer Weichling) erschossen hat, bildet dabei nur den Hintergrund für ein Bacchanal aus Sex, Gewalt und Heimtücke.
Denn auch wenn die Geschwätzigkeit des Textes stellenweise den Rhythmus der Inszenierung ins Stolpern bringt - in ihren besten Momenten überzeugt diese Aufführung durch verstörend-magische Bilder, gespenstisch-surreale. aber doch bedrohlich diesseitige Tableaus hart an der Kitschgrenze. die den Topos einer dunkel-lockenden Welt nur zitieren, um tatsächlich deren ganzen Schrecken erfahrbar zu machen: Da wallt blau oder rot beleuchteter Theaternebel bis ins Parkett, da wummern die Basstrommeln, da platscht das Wasser, und die drei Männer umschleichen sich oder die Braut (hysterisch-filigran: Elisabeth Müller) des Baustellen-Bosses, die aus Paris eingeflogen ist und als Objekt der Begierde im silbrigen Glitzerkleid auf Stilettos durch diese moderne Steinzeit stöckelt.

Am Schluss stehen alle Akteurs mit Tiermasken im grellen Gegenlicht: Das sind wir, längst jenseits von Afrika, das hier nur noch als austauschbare Metapher dient für die Barbarei, die unter der unfertigen Brücke der Zivilisation lauert. Denn dass es eben nicht simple „Kulturgegensätze‘‘ sind, die das Animalische ausbrechen lassen. gerade das macht diese Inszenierung deutlich, indem sie die lauernde Bestie in uns allen entlarvt.