Kritik einer Inszenierung Schauspielhaus Stuttgart
Der Auftrag/ Die Gerechten, Stuttgart 2003
Untertürkheimer Zeitung, 22. Februar 2003
Untertürkheimer Zeitung, 22. Februar 2003
Der Tod, die Maske der Revolution
Schauspiel ohne Grenzen: Camus‘ Drama „Die Gerechten“ und „Der Auftrag“ von Heiner Müller im Alten Landtag - Blicke ins Bodenlose
von Albrecht Schächterle
Schauspiel ohne Grenzen: Camus‘ Drama „Die Gerechten“ und „Der Auftrag“ von Heiner Müller im Alten Landtag - Blicke ins Bodenlose
von Albrecht Schächterle
Stuttgart - Albert Camus‘ Drama „Die Gerechten“, das 1949 in Paris uraufgeführt wurde, und Heiner Müllers Stück „Der Auftrag“ von 1980 haben vieles gemeinsam. Beide sind Revolutionsdramen, beide diskutieren den Zusammenhang von persönlichem Einsatz und überindividuellen Zielen und beide erscheinen nach dem unrühmlichen Siechtod des real-existierenden Sozialismus wie heldenromantische Relikte. Und doch sind die Schemen aus der schamhaft geschlossenen Mottenkiste politischer Utopien bedrückend real.
Längst ist das zentrale Problem der beiden Stücke, die Rechtfertigung von Gewalt im Angesicht diktatorischen Unrechts, nicht mehr nur ein als Bewältigungsakt in historischer Absicht stets neu zu belebendes Thema. Gerade die weltpolitische Lage im narzisstischen Weltstreit zwischen chirurgischem Tyrannenmord und suizidverliebten Fanatismus verleiht den beiden Texten eine erneute Aktualität jenseits ideologischer Manierismen.
In einer Koproduktion bringen Staatstheater, die Bühnenbildklasse Martin Zehetgruber der Akademie der bildenden Künste und Schauspielschüler der staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst die „Gerechten“ und den „Auftrag“ nun gemeinsam - wenn auch hintereinander - auf die Bühne.
Das grenzüberschreitende Experiment in der Regie von Sebastian Hirn hatte jetzt im Theatersaal des Alten Landtags Premiere. Und der geeinte Theaternachwuchs präsentierte eine ausgereifte Leistung, „Die Gerechten“ greifen einen historischen Stoff auf: das 1905 von russischen Terroristen verübte Attentat auf den Großfürsten Sergej. Camus‘ wirkliches Interesse gilt jedoch nicht dem geschichtlichen Gehalt der verbürgten Abläufe. Vor dem Hintergrund seiner philosophischen Überzeugung der grundlegenden Absurdität allen menschlichen Daseins ist sein Fokus die positive, wertschaffende Revolte jenseits abstrakter Ideologien. Sebastian Hirns Inszenierung legt diesen Konflikt überzeugend offen. Er wirft seine Figuren ins existenzialistische Nichts einer völlig kahlen Bühne. Dort planen die vier Revolutionäre Iwan Kaljajew (Philipp Engelhardt), Dora Dulebow (Brigitte Urhausen), Boris Annenkow (Kai Brecklinghaus) und Stepan Fjodorow (Martin Eschenbach) gemeinsam die Ermordung des Despoten Sergej durch eine Bombe. Und doch Steht jeder von ihnen alleine.
Längst ist das zentrale Problem der beiden Stücke, die Rechtfertigung von Gewalt im Angesicht diktatorischen Unrechts, nicht mehr nur ein als Bewältigungsakt in historischer Absicht stets neu zu belebendes Thema. Gerade die weltpolitische Lage im narzisstischen Weltstreit zwischen chirurgischem Tyrannenmord und suizidverliebten Fanatismus verleiht den beiden Texten eine erneute Aktualität jenseits ideologischer Manierismen.
In einer Koproduktion bringen Staatstheater, die Bühnenbildklasse Martin Zehetgruber der Akademie der bildenden Künste und Schauspielschüler der staatlichen Hochschule für Musik und Darstellende Kunst die „Gerechten“ und den „Auftrag“ nun gemeinsam - wenn auch hintereinander - auf die Bühne.
Das grenzüberschreitende Experiment in der Regie von Sebastian Hirn hatte jetzt im Theatersaal des Alten Landtags Premiere. Und der geeinte Theaternachwuchs präsentierte eine ausgereifte Leistung, „Die Gerechten“ greifen einen historischen Stoff auf: das 1905 von russischen Terroristen verübte Attentat auf den Großfürsten Sergej. Camus‘ wirkliches Interesse gilt jedoch nicht dem geschichtlichen Gehalt der verbürgten Abläufe. Vor dem Hintergrund seiner philosophischen Überzeugung der grundlegenden Absurdität allen menschlichen Daseins ist sein Fokus die positive, wertschaffende Revolte jenseits abstrakter Ideologien. Sebastian Hirns Inszenierung legt diesen Konflikt überzeugend offen. Er wirft seine Figuren ins existenzialistische Nichts einer völlig kahlen Bühne. Dort planen die vier Revolutionäre Iwan Kaljajew (Philipp Engelhardt), Dora Dulebow (Brigitte Urhausen), Boris Annenkow (Kai Brecklinghaus) und Stepan Fjodorow (Martin Eschenbach) gemeinsam die Ermordung des Despoten Sergej durch eine Bombe. Und doch Steht jeder von ihnen alleine.
Die Inszenierung verweilt in der Stille, in räumlicher Distanz, einsamen Blicken und zeitlupenhafter Bewegung. Das lähmende Verrinnen der Zeit macht den Augenblick greifbar - der Einzelne muss sich entscheiden, in jedem Moment. Darf er Unschuldige mit opfern oder darf er es nicht? Vordergründige Gemeinsamkeiten - visualisiert als bleich-beige Kleidung, kalkweiße Schminke oder dem Stehen in Reih und Glied - sind schnell als Wunschträume des Abstrakten entlarvt. Im Knarren des Dielenbodens meldet sich das Reale zu Wort. Der Bürde der Existenz kann sich allen Masken zum Trotz niemand entziehen. Nur in Liebesausbrüchen, Verzweiflung und Hass geraten die Schauspieler direkt in Berührung. Nach dem freiwilligen Märtyrertod ihres Geliebten Iwan reißt Dora verzweifelt die Dielen aus dem Fußboden. Die nächste Bombe wird sie werfen.
Eine Etage tiefer, genau unterhalb dieses Lochs, findet Heiner Müllers „Der Auftrag“ seine Bühne. Die selben Schauspieler schlüpfen in neue Rollen. Ein surrealistischer Monolog über das Elend der Dritten Welt entlässt zusammenhanglos den Arzt Debuisson, Sohn von Sklavenhaltern, Galloudec, einen bretonischen Bauern, und Sasportas, einen entflohenen schwarzen Sklaven, in die Welt des kolonialen Jamaika zur Zeit der französischen Revolution. Dort sollen sie - in unverdächtiger Maske - einen Sklavenaufstand inszenieren. Doch das Projekt scheitert - in Paris übernimmt Napoleon die Macht, und Debuisson läuft lüstern zum Klassenfeind über, in den Schoß seiner ersten Liebe, einer jamaikanischen „Belle“ im bauschigen rosa Tüllrock.
Mit einem ungewohnten Blick unter die Kulissen entfaltet Regisseur Sebastian Hirn die zweite Halbzeit in komplementärem Ambiente: Statt knarrender Dielen „stört“ nun pfützenübersäter, knirschender Kies, und die Weißkittel irren in einem Wald aus Marmorsäulen und Stützstreben umher. Auch hier bewegen sich die Figuren wie Marionetten in zähem Sirup. Das Scheitern des Abstrakt-Ideellen wird dabei noch deutlicher. Die übernommenen Rollen werden umgehend zur ersten Natur. Das fingierte Sklavenhalter Aufseher-und-Sklave-Planspiel mutiert zum Realen. „Die Revolution ist die Maske des Todes. Der Tod ist die Maske der Revolution“, skandieren die Revolutionäre während des Stückes mehrfach. Wenn das mit den Masken doch heute nur noch so einfach wäre.
Eine Etage tiefer, genau unterhalb dieses Lochs, findet Heiner Müllers „Der Auftrag“ seine Bühne. Die selben Schauspieler schlüpfen in neue Rollen. Ein surrealistischer Monolog über das Elend der Dritten Welt entlässt zusammenhanglos den Arzt Debuisson, Sohn von Sklavenhaltern, Galloudec, einen bretonischen Bauern, und Sasportas, einen entflohenen schwarzen Sklaven, in die Welt des kolonialen Jamaika zur Zeit der französischen Revolution. Dort sollen sie - in unverdächtiger Maske - einen Sklavenaufstand inszenieren. Doch das Projekt scheitert - in Paris übernimmt Napoleon die Macht, und Debuisson läuft lüstern zum Klassenfeind über, in den Schoß seiner ersten Liebe, einer jamaikanischen „Belle“ im bauschigen rosa Tüllrock.
Mit einem ungewohnten Blick unter die Kulissen entfaltet Regisseur Sebastian Hirn die zweite Halbzeit in komplementärem Ambiente: Statt knarrender Dielen „stört“ nun pfützenübersäter, knirschender Kies, und die Weißkittel irren in einem Wald aus Marmorsäulen und Stützstreben umher. Auch hier bewegen sich die Figuren wie Marionetten in zähem Sirup. Das Scheitern des Abstrakt-Ideellen wird dabei noch deutlicher. Die übernommenen Rollen werden umgehend zur ersten Natur. Das fingierte Sklavenhalter Aufseher-und-Sklave-Planspiel mutiert zum Realen. „Die Revolution ist die Maske des Todes. Der Tod ist die Maske der Revolution“, skandieren die Revolutionäre während des Stückes mehrfach. Wenn das mit den Masken doch heute nur noch so einfach wäre.
Kritik einer Inszenierung Schauspielhaus Stuttgart
Süddeutsche Zeitung, Februar 2003
Zur ebenen Erde und im Untergrund
Sebastian Hirn inszeniert Camus und Müller in Stuttgart
von Thomas Thieringer
Sebastian Hirn inszeniert Camus und Müller in Stuttgart
von Thomas Thieringer
Das ist alles schon sehr lange her. Der 27-jährige Regisseur Sebastian Hirn, eine Entdeckung Luc Bondys, stellt das unmissverständlich, aus. Mit Studenten der Akademie der Bildenden Künste und der Hochschule für Musik und Darstellende Künste hat er als Koproduktion für das Württembergischen Staatsschauspiel Alberts Camus „Die Gerechten“ aus dem Jahr 1949 inszeniert, ergänzt durch Heiner Müllers Erinnerung an eine Revolution, „Der Auftrag“ von 1980. Hirn und seine Dramaturgin Alexandra Althoff haben die Texte radikal eingestrichen, sie von unnötigem Zeitkolorit und, bei Camus, von welk gewordenem (dramatischen) Fleisch befreit. So streng auf das Wesentliche konzentriert werden die Dramen an einem geschichtsträchtigen Ort der heutigen Spannung ausgesetzt.
Gespielt wird in einer Gründerzeit-Villa, die Heimat eines Arbeitervereins und später bis 1961 Sitz des Landtags war - hier wurde 1953 die neue Verfassung Baden-Württembergs beschlossen. Vom Prunk der frühen Jahre zeugen in mattem Licht drei Kronleuchter und marmorierte Säulen. Auf der Ebene der Empore wurde mit Bohlen ein heftig verworfener Boden eingezogen. Hier bleibt nichts verborgen, jeder Schritt muss mit Umsicht gesetzt werden.
Die vier Figuren, die Hirn schon vor Beginn im Karree postiert hat, sind weiß übertüncht, als wären sie unter dem Staub der Zeit dem Vergessen anheim gegeben. Sie argumentieren aus einem oft wiederholten Erinnern. Dazu bewegen sie sich wie Somnambule und zugleich in höchster Anspannung, denn jeder falsche Ton könnte den Absturz bedeuten: die Verbannung aus dem innersten Kreis der Organisation, die das Attentat plant. Von einem notwendigem Mord - am despotischen „Großfürsten - ist die Rede und wie viele unschuldige Opfer zu dulden sind für die Befreiung des Volkes. Camus Figuren sind darauf fixiert, alle ethischen, politischen Attentats vorzubringen; sie reflektieren eine Diskussion russischer „ Sozialrevolutionäre“ aus dem Jahre 1905.
Gespielt wird in einer Gründerzeit-Villa, die Heimat eines Arbeitervereins und später bis 1961 Sitz des Landtags war - hier wurde 1953 die neue Verfassung Baden-Württembergs beschlossen. Vom Prunk der frühen Jahre zeugen in mattem Licht drei Kronleuchter und marmorierte Säulen. Auf der Ebene der Empore wurde mit Bohlen ein heftig verworfener Boden eingezogen. Hier bleibt nichts verborgen, jeder Schritt muss mit Umsicht gesetzt werden.
Die vier Figuren, die Hirn schon vor Beginn im Karree postiert hat, sind weiß übertüncht, als wären sie unter dem Staub der Zeit dem Vergessen anheim gegeben. Sie argumentieren aus einem oft wiederholten Erinnern. Dazu bewegen sie sich wie Somnambule und zugleich in höchster Anspannung, denn jeder falsche Ton könnte den Absturz bedeuten: die Verbannung aus dem innersten Kreis der Organisation, die das Attentat plant. Von einem notwendigem Mord - am despotischen „Großfürsten - ist die Rede und wie viele unschuldige Opfer zu dulden sind für die Befreiung des Volkes. Camus Figuren sind darauf fixiert, alle ethischen, politischen Attentats vorzubringen; sie reflektieren eine Diskussion russischer „ Sozialrevolutionäre“ aus dem Jahre 1905.
Die Menschen-Figuren tragen die Kostüme dieser Zeit. Im übrigen: Nichts lenkt ab von den Rede dieser Menschen, die kalt in ihrer Einsamkeit gefangen sind. Die vier Schauspieler, alle noch Studenten, referieren die Texte wie Becket-Figuren -spartanisches spannendes Kopftheater.
Camus „Die Gerechten“ haben es auf den deutschen Bühnen schwer gehabt. Die Frage, was denn noch dran sei heute, wurde immer mal gestellt, obwohl sie etwa in einer Stuttgarter Aufführung zu Zeiten des Prozesses gegen die RAF-Terroristen Erregungen auslösten. Für dies- mal gibt es nur nachdenkliche Zustimmung für die „Helden“ des existentialistische Dramatikers. („So kommt es, dass die Gerechtigkeit heute überall auf der Welt den Mördern jeglicher Gerechtigkeit als Alibi dient“ schrieb er über „Die Gerechten“ im Vorwort zur deutschen Ausgabe seiner Dramen.)
Auch für den zweiten Teil des Abends, Heiner Müllers pessimistischen „Auftrag“, wurde der Text bearbeitet, umgestellt, gekürzt - das Ende der Revolutionäre steht nicht mehr wie bei Müller am Beginn. Regisseur und Austatterinnen schicken die Emissäre des französischen Konvents in den Untergrund, ein düsteres, vom Verfall bedrohtes feuchtes Verlies. Durch die Wunden des aufgerissene Bretterboden fällt schwaches Licht auf die Protagonisten, denen mit Napoleon der Auftrag abhanden gekommen ist, einen Sklavenaufstand auf Jamaika zu organisieren. Ihre Bewegungen - noch gemächlicher; ihr Reden - noch elegischer. Die Zuschauer sitzen wieder um das Karree, schemenhaft beleuchtet wie auf Goyas apokalyptischen Bildern; sie werden zunehmend bedrängt, von Müllers poetischen (Toten-)Klage über die verlorene Revolution-Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sind darin zu „Huren“ verkommen. Ganz auf die Rede gestellt greift auch dieser Text in die Gegenwart. Dieses junge Team macht, ohne Aufgeregtheit politisches Theater in schönster Klarheit.
Camus „Die Gerechten“ haben es auf den deutschen Bühnen schwer gehabt. Die Frage, was denn noch dran sei heute, wurde immer mal gestellt, obwohl sie etwa in einer Stuttgarter Aufführung zu Zeiten des Prozesses gegen die RAF-Terroristen Erregungen auslösten. Für dies- mal gibt es nur nachdenkliche Zustimmung für die „Helden“ des existentialistische Dramatikers. („So kommt es, dass die Gerechtigkeit heute überall auf der Welt den Mördern jeglicher Gerechtigkeit als Alibi dient“ schrieb er über „Die Gerechten“ im Vorwort zur deutschen Ausgabe seiner Dramen.)
Auch für den zweiten Teil des Abends, Heiner Müllers pessimistischen „Auftrag“, wurde der Text bearbeitet, umgestellt, gekürzt - das Ende der Revolutionäre steht nicht mehr wie bei Müller am Beginn. Regisseur und Austatterinnen schicken die Emissäre des französischen Konvents in den Untergrund, ein düsteres, vom Verfall bedrohtes feuchtes Verlies. Durch die Wunden des aufgerissene Bretterboden fällt schwaches Licht auf die Protagonisten, denen mit Napoleon der Auftrag abhanden gekommen ist, einen Sklavenaufstand auf Jamaika zu organisieren. Ihre Bewegungen - noch gemächlicher; ihr Reden - noch elegischer. Die Zuschauer sitzen wieder um das Karree, schemenhaft beleuchtet wie auf Goyas apokalyptischen Bildern; sie werden zunehmend bedrängt, von Müllers poetischen (Toten-)Klage über die verlorene Revolution-Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sind darin zu „Huren“ verkommen. Ganz auf die Rede gestellt greift auch dieser Text in die Gegenwart. Dieses junge Team macht, ohne Aufgeregtheit politisches Theater in schönster Klarheit.
Kritik einer Inszenierung Schauspielhaus Stuttgart
Schwäbisches Tagblatt, 22. März 2003
Im Ballsaal der SPD die Verhältnisse zum Tanzen bringen
Die Trümmer von Old Europe
Schweres Grübeln mit Camus und Müller über die Motive von Terror
von Christoph Müller
Die Trümmer von Old Europe
Schweres Grübeln mit Camus und Müller über die Motive von Terror
von Christoph Müller
Da müssen Schauspielschüler kommen und dem Theater beibringen, wie man intelligent mit den Fragen der ( Vorkriegs-)Zeit umgeht und das alles auf wahrlich historisch doppeltem Boden. Das Stuttgarter Staatstheater hat geholfen, den alten Landtag zu revolutionieren.
Sieh bloß mal an, diese Jungen! Drei im vierten Studienjahr befindliche Schüler der Stuttgarter Schauspielschule, einer leihweise von der Berliner Ernst-Busch- Schule (der beste), dazu zwei Schwestern aus Martin Zehetgrubers Stuttgarter Bühnenbildklasse - und schon hat Staatsschauspiel-Intendant Friedrich Schirmer ideales Futter für seinen unstillbaren Talententdecker- Hunger. Schirmer steckte sein Geld, das er als Bayerischen Theaterpreis für Heiko Webers fulminanten Ibsen- „Brandt“ bekommen hat, in den landeseigenen Nachwuchs und ermöglichte so an ungewöhnlichem Spielort eine Aufführung, die mit abgelagerten Texten über Notwendigkeit und Unmöglichkeit von Terroranschlägen im Namen einer besseren Welt einen hochaktuellen Diskussionspunkt trifft. Mit den 1949 uraufgeführten „Gerechten“ von Albert Camus, gefolgt von Heiner Müllers „Auftrag“ aus dem Jahre 1980, tummeln wir uns in den nicht nur ideologischen Trümmern von Old Europe.
„Die Gerechten“ haben schon einmal, 1975, Stuttgarter Theatergeschichte geschrieben in der Inszenierung von Niels-Peter Rudolph, die mit dem Film einer Straßenbahnfahrt nach Stammheim endete und damit die ganze Not der Bundesrepublik im Umgang mit den RAF-Terroristen ins Bild brachte.
Bei Camus geht es moralphilosophisch um eine sozial-revolutionäre Studentengruppe, die 1905 im zaristischen Russland den Großfürsten Sergej ermorden will und sich dabei allen ethischen Fragen stellt, die man sich im mehr existenzialistischen als christlichen Abendland eben so stellt beim radikalen Umgang mit Gewalt. Schon ernüchterter Heiner Müllers „Erinnerung an eine Revolution“ (nämlich den Auftrag des Konvents der Französischen Revolution, in Jamaika einen Sklavenaufstand anzuzetteln), bei der zwar auch „die Welt aus dem Leim geht“, aber mehr die Toten‘ zum Kampf gerufen werden („Die Revolution ist die Maske des Todes“ und „Der Tod ist die Maske der Revolution“).
Brütendes, schwer lastendes Gedankenspiel. Gedanken eher als Spiel.
Sieh bloß mal an, diese Jungen! Drei im vierten Studienjahr befindliche Schüler der Stuttgarter Schauspielschule, einer leihweise von der Berliner Ernst-Busch- Schule (der beste), dazu zwei Schwestern aus Martin Zehetgrubers Stuttgarter Bühnenbildklasse - und schon hat Staatsschauspiel-Intendant Friedrich Schirmer ideales Futter für seinen unstillbaren Talententdecker- Hunger. Schirmer steckte sein Geld, das er als Bayerischen Theaterpreis für Heiko Webers fulminanten Ibsen- „Brandt“ bekommen hat, in den landeseigenen Nachwuchs und ermöglichte so an ungewöhnlichem Spielort eine Aufführung, die mit abgelagerten Texten über Notwendigkeit und Unmöglichkeit von Terroranschlägen im Namen einer besseren Welt einen hochaktuellen Diskussionspunkt trifft. Mit den 1949 uraufgeführten „Gerechten“ von Albert Camus, gefolgt von Heiner Müllers „Auftrag“ aus dem Jahre 1980, tummeln wir uns in den nicht nur ideologischen Trümmern von Old Europe.
„Die Gerechten“ haben schon einmal, 1975, Stuttgarter Theatergeschichte geschrieben in der Inszenierung von Niels-Peter Rudolph, die mit dem Film einer Straßenbahnfahrt nach Stammheim endete und damit die ganze Not der Bundesrepublik im Umgang mit den RAF-Terroristen ins Bild brachte.
Bei Camus geht es moralphilosophisch um eine sozial-revolutionäre Studentengruppe, die 1905 im zaristischen Russland den Großfürsten Sergej ermorden will und sich dabei allen ethischen Fragen stellt, die man sich im mehr existenzialistischen als christlichen Abendland eben so stellt beim radikalen Umgang mit Gewalt. Schon ernüchterter Heiner Müllers „Erinnerung an eine Revolution“ (nämlich den Auftrag des Konvents der Französischen Revolution, in Jamaika einen Sklavenaufstand anzuzetteln), bei der zwar auch „die Welt aus dem Leim geht“, aber mehr die Toten‘ zum Kampf gerufen werden („Die Revolution ist die Maske des Todes“ und „Der Tod ist die Maske der Revolution“).
Brütendes, schwer lastendes Gedankenspiel. Gedanken eher als Spiel.
Zum Spielen gibt es für die Schauspielschüler eigentlich gar nichts. Sie bewegen sich wie in Zeitlupen-Trance und konzentrieren sich ganz auf den Text. Erstaunlich, wie völlig mätzchenfrei ihr Regisseur Sebastian Hirn der Dichtersprache vertraut und damit nicht auf Sand baut. Der 27-jährige Münchner Sebastian Hirn ist eine Empfehlung von Luc Bondy, dem Leiter der Regieklasse am Wiener Max-Reinhardt-Seminar. Vor anderthalb Jahren ließ Schirmer Hirns vielversprechende „Léonce und Lena“-Inszenierung im Depot gastieren. Am besten, er behält ihn mitsamt den Bühnen- und Kostümbildnerinnen Irmela und Lucia Schutz gleich hier, allerdings nicht ohne deren sensationellen Aufführungsort. Denn der zweistöckige Spielort ist der Clou. Stuttgart-West. Heusteigstraße 45. Ein Gründerzeit-Gebäude aus dem Jahr 1898, das dem SPD-Arbeiter- und Bildungsverein als Ballsaal zum stilvollen Schwofen diente. Aus diesem Ballsaal wurde 1947 der Plenarsaal des württembergischen Landtags, der sich hier, wo per Theater gleich zweimal mit Revolutionen die Verhältnisse zum Tanzen gebracht werden. 1953 seine Verfassung gab und wo jetzt die Kunstakademie zuhause ist. Das sind vielleicht Zusammenhänge! Dieser vergammelte Ball-Plenarsaal vermittelt ein grandioses Raumerlebnis. Drei Kristall-Kronleuchter schweben über einem brüchigen Holzbohlen-Boden, der bei jedem Schritt und Tritt der schon deshalb lieber bloß herumstehenden Revolutions- Disputanten knarzt und knarrt. Drumherum eine schnörkelige Gitterbrüstung. Alles zusammengehalten von griechisch marmorierten Säulen - eine wahre Pracht des Historismus! In einem Anfall von Action-Wut reißt die Russen-Revolutionärin eine ganze Menge dieser brüchigen Holzbohlen heraus - und es wird abgründig.
Nach der Pause beim Müller-Stück landen die Zuschauer nämlich im unteren Teil des selben Saals mit morastig knirschendem Kiesuntergrund, drei umgefallenen Säulen, raffinierten Lichtschneisen und dem Ausblick auf die Holzbohlen-Löcher, die nun die Decke bilden. Die Welt, sie ist bedrängend bildsymbolisch aus dem Leim. Die Erinnerung an Revolutionen also nur noch Nostalgie? Der drohende Irak-Krieg, in den Köpfen der Zuschauer nimmt er an diesem verwunschenen Heusteigstraßenort auf zwiefach reflektierte Art motivgeschichtliche Gestalt an. Der Arbeiterverein, die Verfassungsgebung, die Kunstakademie, die Revolutions-Beschwörungen, die jungen Theater-noch-nicht-mal-Profis - eine Begegnung der dritten Art...
Nach der Pause beim Müller-Stück landen die Zuschauer nämlich im unteren Teil des selben Saals mit morastig knirschendem Kiesuntergrund, drei umgefallenen Säulen, raffinierten Lichtschneisen und dem Ausblick auf die Holzbohlen-Löcher, die nun die Decke bilden. Die Welt, sie ist bedrängend bildsymbolisch aus dem Leim. Die Erinnerung an Revolutionen also nur noch Nostalgie? Der drohende Irak-Krieg, in den Köpfen der Zuschauer nimmt er an diesem verwunschenen Heusteigstraßenort auf zwiefach reflektierte Art motivgeschichtliche Gestalt an. Der Arbeiterverein, die Verfassungsgebung, die Kunstakademie, die Revolutions-Beschwörungen, die jungen Theater-noch-nicht-mal-Profis - eine Begegnung der dritten Art...